Das Schlafhormon? Die Schlafhormone!
ZULETZT Aktualisiert: 25. April 2023
Wer sich zum Thema Schlafen und Hormone erkundigen möchte, kommt an dem sogenannten Schlafhormon Melatonin nicht vorbei. Dieses einzelne Schlafhormon hat es geschafft, den gesamten Begriff Schlafhormon für sich zu beanspruchen. Es finden sich unzählige Ratgeber zum Thema Melatonin und weil Schlafstörungen weitverbreitet sind, bietet der Markt etliche Präparate mit Melatonin, die das Ein- und Durchschlafen erleichtern sollen. Das Schlafhormon Melatonin liegt so im Trend, dass schnell der Eindruck entsteht, es wäre alleiniger Protagonist unseres Hormonhaushalts während wir schlafen. Doch diese Annahme ist weit gefehlt.
Schlafen und Hormone
Wie fast alle Prozesse im menschlichen Körper wird auch unser Schlaf von Hormonen beeinflusst. Nicht jedes der am Schlaf beteiligten Hormone ist vorranging ein Schlafhormon. Bemerkenswert ist jedoch, dass eine ganze Reihe von Hormonen, die man teils aus anderen Zusammenhängen kennt, zudem als Schlafhormon fungieren. Sie steuern nicht nur unsere Müdigkeit, sie bereiten sämtliche Prozesse im menschlichen Körper auf die Nachtruhe vor. Dieser Hormoncocktail, nicht ein einzelnes Schlafhormon, ermöglicht es uns erst, abends ein- und nachts durchzuschlafen sowie uns im Schlaf überhaupt zu erholen.
Melatonin: das bekannteste Schlafhormon
Das bekannteste Schlafhormon senkt unsere Körpertemperatur und hat die Fähigkeit, uns müde zu machen – es ist also das offensichtlichste Schlafhormon. Melatonin wird bei Dunkelheit gebildet. Wenn es im Sommer bei uns lange hell ist, setzt die Melatoninproduktion später ein als im Winter. Ein Grund dafür, warum wir uns im Sommer aktiver fühlen. Der Körper produziert vom Kindesalter bis in die Pubertät immer mehr Melatonin, dann aber sinkt die Produktion mit fortschreitendem Alter. Pubertierende haben deshalb ein höheres Schlafbedürfnis als ältere Menschen.
Die hier geschilderten Auswirkungen der Melatoninproduktion lassen das Schlafhormon leicht verständlich erscheinen. Eine weitverbreitete Annahme ist, dass uns mehr Melatonin müde macht. Also sollte man bei Einschlafproblemen vor allem auf den Melatoninspiegel achten. So einfach ist es aber nicht. Melatonin kann uns nämlich auch zum Nachdenken anregen. Im schlimmsten Fall werden wir zwar müde, starten damit aber erst das Gedankenkarussell, das uns vom Schlafen abhält. Zu wenig Melatonin kann zwar den Schlaf stören, muss es aber nicht. Menschen, denen die Zirbeldrüse entfernt wurde, in der das Melatonin gebildet wird, können trotzdem schlafen. Ebenso können blinde Menschen schlafen, deren Melatoninproduktion aufgrund einer fehlenden Helligkeitswahrnehmung gestört ist. Diese Beispiele verdeutlichen, dass Melatonin nur ein Bestandteil des Hormoncocktails ist, der uns das Schlafen ermöglicht. Fehlt das Melatonin, so scheint es, kann der Körper den Hormonhaushalt daran anpassen.
Serotonin: Schlaf- und Glückshormon
Serotonin wird neben Dopamin häufig als Glückshormon bezeichnet, denn es hebt die Stimmung und beruhigt. Zusammen mit dem Melatonin steuert es außerdem unsere innere Uhr. Die Serotoninproduktion wird vom Sonnenlicht angeregt und der Serotoninspiegel ist morgens am höchsten. Vereinzelt wird es deshalb Wachhormon genannt. Dabei hat Serotonin nicht nur etwas mit dem Wachwerden zu tun. Seine beruhigende Wirkung begünstigt im Zusammenspiel mit Melatonin abends das Einschlafen. Ebenso ist bekannt, dass der Serotoninspiegel in der besonders erholsamen Tiefschlafphase ansteigt. Serotonin ist also nicht nur ein Wachhormon, sondern auch ein Schlafhormon. Während einer Depression, die in der Regel mit einer gestörten Serotoninproduktion einhergeht, treten deshalb häufig Schlafstörungen auf.
Leptin: steuert den Hunger und lässt uns schlafen
Die Hormone Ghrelin und Leptin steuern unseren Appetit. Wenn unser Körper nach Energie in Form von Nahrung verlangt, schüttet er das Hormon Ghrelin aus und wir werden hungrig – ein überlebenswichtiges Signal. Schlafen wir jedoch, unterdrückt Leptin unser Hungergefühl. Sogar im Schlaf benötigt unser Organismus fortlaufend Energie. Dank Leptin können wir trotzdem durchschlafen – so gesehen handelt es sich auch bei Leptin um ein Schlafhormon.
Das Hormon Insulin transportiert Nährstoffe als Energiereserve in unsere Zellen. Zu viel Insulin führt dazu, dass mehr Nährstoffe transportiert werden als notwendig wäre. Schlafstörungen treten häufig gepaart mit einem erhöhten Insulinspiegel auf, dadurch steigt das Diabetesrisiko. Ausreichend Schlaf in guter Qualität kann dagegen das Diabetesrisiko senken.
Somatropin: regt das Zellwachstum an
Somatropin hat keinen direkten Einfluss auf das Schlafen an sich, sehr wohl aber auf die Schlafqualität. Somatropin ist für die physische nächtliche Erholung verantwortlich und somit ebenfalls ein Schlafhormon. Das Wachstumshormon löst bei Kindern das Wachstum des Körpers aus, bei Erwachsenen werden dadurch vor allem Regenerationsprozesse in Gang gesetzt. Der Somatropinspiegel steigt in der besonders erholsamen Tiefschlafphase an und sorgt dann unter anderem für den Ersatz abgestorbener Zellen. Je mehr Somatropin ausgeschüttet wird, umso schneller verläuft zum Beispiel die Wundheilung. Bei Kindern geht das noch recht schnell, mit dem Älterwerden nimmt jedoch der Anteil an Tiefschlafphasen pro Nacht immer mehr ab und dadurch sinkt der Somatropinspiegel – die Wundheilung verläuft langsamer.
Cortisol: Stresshormon und Wachmacher
Das sogenannte Stresshormon Cortisol kann man nicht als Schlafhormon bezeichnen. Hier passt nun tatsächlich die Beschreibung Wachhormon. In den frühen Morgenstunden, etwa gegen drei Uhr, steigt der Cortisolspiegel langsam an. Wer zu dieser Zeit ins Bett geht, schläft meist nicht mehr so tief, hat also einen weniger erholsamen Schlaf. Zwischen sechs und neun Uhr morgens erreicht der Cortisolspiegel im Körper seinen Höchststand und fällt relativ langsam über den Tag wieder ab. Weil Cortisol ansonsten produziert wird, wenn wir unseren Körper durch Anstrengungen stressen, zum Beispiel durch Sport oder intensive geistige Arbeit, und weil es so lange nachwirkt, kann uns Cortisol abends auch vom Schlafen abhalten.
Nur eine kleine Auswahl von Schlafhormonen
Die hier vorgestellte Auswahl an Hormonen erlaubt nur einen kleinen Einblick in das Thema Schlafen und Hormone. Es gibt noch deutlich mehr Hormone, Botenstoffe und Neurotransmitter, die direkt oder indirekt unseren Schlaf beeinflussen. Allein das Aufwachen wird von einer Vielzahl körpereigener Stoffe gefördert. Neben Cortisol ermöglichen uns beispielsweise auch Adrenalin und Noradrenalin, Glutamat, Histamin und Orexin morgens aus dem Bett zu kommen. Abgesehen vom bekannten Schlafhormon Melatonin und von Serotonin spielen zudem Adenosin und GABA (Gamma-Amino-Buttersäure) eine wichtige Rolle beim Einschlafen.
Der menschliche Hormonhaushalt ist eine überaus komplexe Angelegenheit. Auch wenn Melatonin ganz offensichtlich daran beteiligt ist, dass wir einschlafen können, gibt es nicht nur das eine Schlafhormon. Viel mehr ist das Zusammenspiel vieler, vielleicht sogar aller Hormone das, was uns ein- und durchschlafen sowie morgens wieder regeneriert aufwachen lässt. Es ist davon auszugehen, dass wir noch längst nicht alle dieser Prozesse verstehen.
Schlafhormone einnehmen?
Trotz vieler ungeklärter Fragen lässt sich sagen, dass ein Eingriff in den Hormonhaushalt mit einem nicht zu unterschätzenden Risiko verbunden ist. Die Einnahme von Melatoninpräparaten mag verlockend sein, weil der Effekt zunächst so einfach erklärbar scheint. Doch wer mit Schlafstörungen zu kämpfen hat, sollte selbst bei leichterer Ausprägung immer einen Arzt aufsuchen, denn das eine Schlafmittel gibt es nicht. Es muss individuell abgewogen werden, wie eine Schlafstörung zu behandeln ist. Dafür ist nicht in allen Fällen eine medikamentöse Behandlung nötig. Bereits Sport, Entspannungsübungen und das Einhalten einer Schlafhygiene können wie ein Schlafmittel wirken.