Wochenbettdepression – wenn der Babyblues bleibt
ZULETZT Aktualisiert: 25. Mai 2023
Die Wochenbettdepression betrifft etwa 8–15 % aller gebärenden Personen. Diese postpartale Depression ist eine ernstzunehmende Erkrankung mit Behandlungsbedarf. Eine unbehandelte Wochenbettdepression belastet nicht nur Sie selbst, sie hat überdies schwerwiegende Folgen für Ihre Bindung zum Kind und beeinträchtigt somit nachhaltig zwei Leben. Die postpartalen Depressionen können sich aus dem sogenannten Babyblues entwickeln oder auch danach im Laufe des ersten Jahres nach der Geburt auftreten. Die Ursachen für die Erkrankung sind vielschichtig und nur in Teilen erforscht. Neben dem offensichtlichen zehrenden Schlafmangel der ersten Lebensmonate oder Anpassungsschwierigkeiten an völlig neue Lebensverhältnisse scheinen patriarchale Strukturen, Misogynie und Gewalt gegen Frauen eine tragende Rolle zu spielen.
Wie kommt es zu einer Wochenbettdepression?
Die Wochenbettdepression wird oft ausgelöst durch ein multifaktorielles Zusammenspiel aus körperlichen, psychischen, sozialen und gesellschaftlichen Faktoren. Die veränderte Lebenswirklichkeit als Elternteil und damit die Neufindung der eigenen Rolle in partnerschaftlicher Beziehung, womöglich mit bereits vorhandenen Kindern, oder im Freundeskreis kann ein schwieriger Selbstfindungsprozess sein. Ein gesellschaftlich verklärtes Mutterbild und unvereinbare Erwartungen an dieses Bildnis sorgen für permanenten Druck. Auch traumatische Erlebnisse während der Geburt oder wachsende Zukunftsängste durch Elternschaft sowie zunehmende Abhängigkeit zu einer schlimmstenfalls toxischen Partnerperson stellen nachvollziehbare Belastungsfaktoren dar. Auch der massive Schlafmangel der ersten Lebensjahre, in denen sich der Schlafrhythmus beim Baby erst noch ausbilden muss, können die Psyche destabilisieren. Doch selbst wenn eigentlich alles rosig sein könnte, für Sie aber nicht ist und Sie keinen nachvollziehbaren Grund dafür finden, holen Sie sich Hilfe. Sprechen Sie sich nicht ein etwaiges Recht auf Behandlung ab, nur weil es andere scheinbar schwerer haben.
Wochenbettdepression als Folge von Gewalterfahrungen
Gebärende, die Gewalt ausgesetzt waren, haben ein mehr als dreifach höheres Risiko an Wochenbettdepressionen zu erkranken. Über die Hälfte aller Opfer von Gewalt in der Partnerschaft entwickeln Symptome einer postpartalen Depression. Auch Gewalterfahrung unter der Geburt, die im direkten Zusammenhang mit der später auftretenden Symptomatik steht, erscheint ursächlich als Auslöser für ein gestörtes Verhältnis zur Elternschaft und dem Kind. Dieser Zusammenhang ist allerdings weniger fundiert erforscht und wird gern als „Enttäuschung, wenn die Geburt anders verlief, als erwartet“ verharmlost. Das im 19. Jahrhundert geprägte Bild der „hysterischen Frau“ schwingt in der gesellschaftlichen Akzeptanz von Geburtstraumata, aber auch daraus resultierenden Depressionen nach. Selbst in den Betroffenen kann dieser internalisierte Frauen- bzw. Selbsthass dazu führen, sich zu spät Hilfe zu holen.
Der „ganz normale“ Babyblues
Etwa dreiviertel aller Personen, die entbunden haben, erleben in den ersten Tagen nach der Geburt ein merkliches Stimmungstief. Müssen Sie plötzlich scheinbar grundlos weinen oder verspüren starke Gefühle der Angst, Erschöpfung oder Unruhe, sind Sie damit nicht allein. Dieser sogenannte Babyblues hält in der Regel zwischen wenigen Stunden bis maximal zwei Wochen an. Eine Ursache für den kurzzeitigen Gefühlsabsturz nach der Schwangerschaft liegt vermutlich in dem starken Hormonabfall nach der Geburt, also der Umstellung des Körpers von schwanger auf nicht mehr schwanger.
Wochenbettdepressionen erkennen und behandeln
Die postpartalen Depressionen setzen in den ersten 12 Monaten nach der Geburt ein. Ihr gehäuftes Auftreten in den ersten drei Monaten nach der Schwangerschaft brachte ihnen den Beinamen Wochenbettdepressionen ein, da sie dieses begleitend auftreten. Die Depressionen unterscheiden sich vom Babyblues in Dauer und Ausprägung der Symptome. Dauern die Verstimmungen länger als zwei Wochen an, suchen Sie sich Hilfe, um eine Wochenbettdepression auszuschließen oder frühzeitig behandeln zu können. In der Regel sind Sie zu diesem Zeitpunkt noch in engmaschiger Betreuung fachkundiger Personen. Sprechen Sie Ihre Gefühlslage in der gynäkologischen oder der kinderärztlichen Praxis, bei Ihrer Hebamme oder Ihrer hausärztlichen Praxis an. Je früher die Diagnose gestellt und die Behandlung begonnen ist, desto erfolgsversprechender die Aussicht auf Genesung und eine stabile Bindung zu Ihrem Kind. Gerade eine gestörte Bindung verursacht langfristig weiteren Leidensdruck beim betroffenen Elternteil und dem Kind.
Wie äußert sich eine Wochenbettdepression?
Postpartale Depressionen machen sich durch Traurigkeit oder Gleichgültigkeit bemerkbar. Unaushaltbar starke Angstgefühle, etwa um das Ableben des Kindes durch plötzlichen Kindstod oder Alltagsgefahren können ebenso Anzeichen sein wie eine verstärkt erlebte Distanz zum Kind bei gleichzeitigem verzweifeltem Nähewunsch. Bemerken Sie, dass stetig wiederholende negative Gedankenmuster mehr Raum einnehmen als ein unbeschwertes Miteinander mit Ihrem Kind, wenden Sie sich vertrauensvoll an Ihre Hebamme oder die nächste Praxis, unabhängig der Fachrichtung.
Postpartale oder postnatale Depression?
Postnatal bezeichnet den Zeitraum nach der Geburt mit Bezug auf das Kind. Postpartal bezieht sich hingegen auf den Zeitraum nach der Geburt mit Fokus auf die gebärende Person. Der Terminus postnatale Depression würde also eine Gemütsstörung beim Säugling bezeichnen, die in der Form schwierig nachzuweisen ist. Es handelt sich bei der Wortschöpfung vielmehr um laiensprachlichen Nonsens, der durch seine konsequente Verbreitung durchaus auch in Fachmagazinen Einzug gehalten hat.
Wie lange dauern Wochenbettdepressionen?
Im Gegensatz zum Baby Blues, dem kurzfristigen Stimmungstief nach der Geburt, ist eine Wochenbettdepression ein langanhaltender depressiver Zustand, der nicht einfach ohne Behandlung verschwindet. Je früher Sie sich Hilfe suchen, desto besser ist die postpartale Depression behandelbar und auch die Dauer der Erkrankung verkürzt sich enorm.