Nächtliche Ruhestörung: wenn Lärm auf die Gesundheit schlägt
ZULETZT Aktualisiert: 19. Juni 2023
Lärmbelästigung in der Nacht kann an die Substanz gehen. Nur die wenigsten können bei Lärm schlafen und selbst wenn ihnen das gelingt, kann der Krach die Qualität des Schlafes spürbar beeinträchtigen. Tritt der Lärm temporär auf, ist das ärgerlich und bisweilen kräftezehrend. Dieser Stress lässt sich allerdings verarbeiten – es bleiben keine Langzeitschäden. Mit Ohrstöpseln zu schlafen, kann bei zeitweiser Lärmbelästigung hilfreich sein. Problematisch wird es, wenn die nächtliche Ruhestörung dauerhaft auftritt. Nicht nur die Psyche leidet, auch physische Schäden können folgen.
Das Ohr benötigt keinen Schlaf
Das Ohr schläft nie, auch nicht nachts. Selbst wenn wir im Schlaf nicht bewusst hören können, empfängt das Ohr Signale und sendet diese ans Gehirn. Erst dort entscheidet ein Geräuschfilter, ob wir bestimmte Töne wahrnehmen. Schuld am Dauerbetrieb des Ohrs ist die Evolution. Denn unsere Vorfahren konnten es sich nicht leisten, nachts vollkommen abzuschalten. Das Ohr war quasi eine Lebensversicherung vor den Gefahren der Nacht. Auch heute noch werden wir automatisch in Alarmbereitschaft versetzt, wenn wir nachts aufwachen – der Körper reagiert mit Stress.
Der Geräuschfilter: einige hören mehr, andere weniger
Erstaunlich ist, dass nächtlicher Lärm von Person zu Person vollkommen unterschiedlich wahrgenommen wird. So schaffen es einige, in lauter Umgebung weitgehend ungestört zu schlafen, während andere schon durch die leisesten Störgeräusche aus dem Schlaf gerissen werden. Auch kommt es ganz darauf an, was für eine Art von Lärm verarbeitet werden muss. Ein gutes Beispiel sind Mütter: Für gewöhnlich reagieren sie auf die Stimme ihres Kindes besonders empfindlich, können lautere Geräusche im Schlaf aber theoretisch ausblenden.
Dass wir so verschieden mit nächtlichem Lärm umgehen, hat kaum etwas mit unserem individuellen Hörvermögen zu tun. Entscheidend ist ein Geräuschfilter im Gehirn, der die Signale der Nerven im Gehör auswertet und entscheidet, ob ein Geräusch an unser Bewusstsein weitergeleitet wird. Hat dieser Geräuschfilter besonders viele Informationen zu verarbeiten, wachen wir deshalb nicht zwangsläufig auf, können uns am Tag darauf aber sehr erschöpft fühlen. Denn der Filterprozess beansprucht unsere Energiereserven.
Inzwischen haben Forscher der Harvard Medical School eine Vermutung, was während dieses Filterprozesses im menschlichen Gehirn passieren könnte. Im Zuge eines Experimentes im Schlaflabor wurde bei Personen, die Geräusche besonders gut filtern konnten, beobachtet, dass der Filterprozess, aller Voraussicht nach, in einem Teil des Zwischenhirns geschieht – dem Thalamus. Die Signale kommen durch den Filter wohl gar nicht erst im Großhirn an und werden deshalb nicht wahrgenommen. Auf der grafischen Darstellung des EEG (Elektroenzephalografie) sehen die mutmaßlichen Aktivitäten des Geräuschfilters aus wie Spindeln. Die Forscher tauften sie deshalb Schlafspindeln.
Dauerbelastung: wenn Lärm krank macht
Wer im Urlaub unter nächtlicher Ruhestörung leidet oder zeitweise zu Hause, weil die Nachbarn eine Party feiern, muss sich keine Sorgen um Langzeitfolgen machen. Anders ist das bei dauerhafter nächtlicher Ruhestörung. Sie kann zu chronischer Müdigkeit, erhöhter Reizbarkeit und einer verminderten Leistungsfähigkeit führen. Weitere mögliche Folgen sind laut der DGSM (Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin): Depressionen, Bronchitis, Asthma, ein gesteigertes Herzinfarktrisiko, eine Schilddrüsenfehlfunktion, eine Gastritis oder ein Reizdarmsyndrom. Auch Arthritis soll durch permanente Ruhestörung in der Nacht begünstigt werden.
Im Jahr 2010 gab das Umweltbundesamt an, dass Straßenlärm das Herzinfarktrisiko bei jedem sechsten Deutschen um 20 % steigere. Experten vermuten, dass Lärmbelästigungen heute an dritter Stelle der vermeidbaren Kosten für das Gesundheitssystem stehen. Schlimmer wäre lediglich das Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum. In diese Rechnung fließt allerdings auch die Lärmbelästigung tagsüber oder etwa am Arbeitsplatz mit ein. Zu viel Lärm am Tag kann sich wiederum zusätzlich negativ auf die Schlafqualität auswirken.
Fluglärm-Studie: Nächtliche Ruhestörung setzt Stresshormone frei
Ein inzwischen mehr als zwanzig Jahre altes Experiment der TU Berlin untersuchte gezielt den Einfluss von Fluglärm auf den Schlaf. Die Probanden wurden sechs Wochen lang jede Nacht zwischen Mitternacht und vier Uhr morgens mit dem Lärm von insgesamt 32 Starts und Landungen beschallt. Die Lautstärke soll der in einem Schlafzimmer eines Anwohners in Flughafennähe entsprochen haben.
Die nächtliche Beschallung mit Fluglärm hat sich nicht auf jeden Studienteilnehmer negativ ausgewirkt. Bei einem Teil der Probanden zeigten sich jedoch deutliche Anzeichen von Stress. So konnten etwa im Urin dieser Personen erhöhte Werte des Stresshormons Cortisol nachgewiesen werden. Anfangs stieg der Cortisolgehalt stark an, dann sank er wieder ab. Der Organismus der Probanden schien sich zu wehren. Nach vier Wochen kapitulierte der Körper allerdings vor dem Fluglärm. Der Cortisolgehalt stieg für die verbleibenden zwei Wochen des Experiments in bisher nie dagewesene Höhen an.
Einen derart erhöhten Cortisolspiegel kannte man ansonsten vor allem von Personen, die einen nahestehenden Menschen verloren oder mit starkem Liebeskummer zu kämpfen hatten. Der Körper reagiert auf verstärkte Cortisolausschüttung mit einer Art Niederlage-Reaktion. Dies führt zu einer Schwächung des Immunsystems, was wiederum den Weg für etliche mögliche Folgeerkrankungen ebnet. Allein durch den erhöhten Cortisolspiegel kommen zur langen Liste der möglichen gesundheitlichen Folgen ein erhöhtes Risiko für Magengeschwüre und Bluthochdruck hinzu. Auch das Herz-Kreislauf-System soll deshalb schneller altern.
Fluglärmbelästigung: Kinder und vorbelastete Personen besonders betroffen
Bei gewissen Menschen sieht es so aus, als ob der Körper nach einer anfänglichen Blockade vor dem Fluglärm einknicken würde. Dies war jedoch nicht bei jedem Studienteilnehmer so. Besonders anfällig seien Personen mit chronischen Vorerkrankungen, ältere Menschen und ganz besonders Kinder – allein schon, weil sie länger schlafen. Zu diesem Ergebnis kam man im Zuge einer anderen Untersuchung, der Münchner Fluglärmstudie. Anlässlich des Umzugs des Münchner Flughafens nutzten Forscher die Gelegenheit, um herauszufinden, wie sich die dauerhafte Fluglärmbelästigung auf die Anwohner auswirkte.
Bei Kindern in der Nähe des neuen Flughafens konnten die Forscher feststellen, dass die Konzentrations- und Erinnerungsfähigkeit leicht abnahm. Ihr Urin wies eine erhöhte Konzentration von Stresshormonen auf, unter anderem Cortisol. Kinder, die in der Nähe des alten Flughafens wohnten, und nun Ruhe hatten, wiesen auch noch 18 Monate später fluglärmbedingte Leistungseinbußen bezüglich ihrer Konzentrations- und Erinnerungsfähigkeit auf.
Was tun bei nächtlicher Ruhestörung?
Bei nächtlichem Flug- oder Straßenlärm zu schlafen, ist zwar möglich, auf Dauer besteht allerdings die Gefahr, dass die Gesundheit darunter leidet. Betroffene sollten also langfristig Wege suchen, wie sie dem Lärm entkommen. Schallschutzfenster sind ein erster Schritt, um den Pegel zu reduzieren. Doch egal, wie viel in Lärmdämmung investiert wird, der Ursprung der nächtlichen Lärmbelästigung lässt sich dadurch nicht bekämpfen.
Eine Beschwerde beim zuständigen Amt, das kann die Stadt-, Gemeinde- oder Bezirksverwaltung sein, wäre eine weitere Maßnahme, um Flug- oder Straßenlärm zu bekämpfen. Hierfür ist es hilfreich, sich mit anderen Betroffenen zusammenzutun. Als Argumentation lassen sich Aussagen der WHO (Weltgesundheitsorganisation) heranziehen. Diese gibt an, dass der durchschnittliche Lärmpegel in der Nacht pro Jahr 40 dB nicht überschreiten sollte. Bereits ab einem Durchschnittswert von 55 dB kann Lärm krank machen.
Ohrstöpsel zum Schlafen nur bedingt zu empfehlen
Ein Gehörschutz zum Schlafen ist verlockend. Doch die aus der Drogerie bekannten Ohrstöpsel sind nichts für den dauerhaften Einsatz. Zwar lässt sich so für vergleichsweise wenig Geld der persönliche Geräuschpegel ganz einfach halbieren. Gerade aber weil sie so gut funktionieren, sollten sie nur temporär eingesetzt werden. Einerseits gewöhnt sich das Ohr an die geringe Lautstärke – es besteht die Gefahr einer daraus resultierenden Überempfindlichkeit. Andererseits kann durch das konstante Tragen von Ohrstöpseln das Mikroklima des Ohrs gestört werden. Dadurch können sich Bakterien vermehren oder Pilze bilden. Infolgedessen wird die Ohrenschmalzproduktion angeregt, weil das Ohr versucht, sich selbst zu reinigen. Wer dennoch häufiger zu Ohrstöpseln greift, sollte seinen Gehörgang regelmäßig professionell reinigen und vom HNO-Arzt untersuchen lassen.
Geringe Ruhestörung: Geräusche überschallen
Weniger durchdringende Geräusche, wie etwa laute Unterhaltungen im Stockwerk darüber, lassen sich theoretisch überschallen. Experten raten im Sinne der Schlafhygiene allerdings nicht dazu, den Fernseher oder die Musikanlage als Einschlafhilfe zu missbrauchen. Musik oder ein laufender Fernseher wirken sich nämlich ebenfalls negativ auf die Schlafqualität aus. Wer es dennoch nicht lassen kann, diese künstliche Geräuschkulisse ab und an als Mittel zum Zweck zu verwenden, der sollte darauf achten, dass sich die Geräuschquelle mit Hilfe einer Zeitschaltuhr nach einer gewissen Zeit alleine abschaltet.
Wenn es um das Überschallen leiserer Geräusche geht, kommt aus Perspektive eines Fachmanns, wenn überhaupt, nur weißes Rauschen in Frage. Dabei handelt es sich um ein künstlich erzeugtes Geräusch, das auf jeder Frequenz gleich laut ist. In der Praxis klingt das wie ein undefinierbares Rauschen. Die absolut gleichbleibende Monotonie des weißen Rauschens wirkt auf viele Menschen entspannend.
Schnarchen: Geräusche ausblenden lernen
Schnarcht der Partner regelmäßig, kann das sehr belastend sein. Weil Ohrstöpsel keine Dauerlösung sind, raten einige Experten zu autosuggestiven Übungen. Grundsätzlich geht es darum, dem eigenen Gehirn zu vermitteln, dass das Schnarchen nicht negativ bewertet werden sollte. Das mag komisch klingen, soll in der Praxis bei einigen Personen jedoch funktionieren. Dies gelingt beispielsweise, indem man sich vor dem Zubettgehen im Stillen immer wieder sagt, dass vom Schnarchen keine Gefahr ausgeht und es sich lediglich um das Schlafgeräusch des Partners handelt. Bis die autosuggestiven Übungen Wirkung zeigen, kann es allerdings eine Weile dauern. Experten raten in der Eingewöhnungsphase deshalb zu ausgiebiger körperlicher Betätigung am Tag. Wer sich mit Sport ordentlich auspowert, lässt dem Körper kaum eine andere Wahl, als schnell in den Schlaf zu finden.
Guter Lärm, schlechter Lärm: konstante Geräusche statt plötzlichen Lärms
Die nächtliche Ruhe wird erst dann so richtig gestört, wenn es sich um plötzlich auftretenden Lärm handelt. Für einen erholsamen Schlaf sollten vor allem Geräuschkulissen mit einer besonders hohen Dynamik vermieden werden. Die Dynamik beschreibt in der Akustik den Unterschied zwischen dem leisesten und lautesten Ton – bei einer Musikaufnahme etwa. Ein klassisches Orchesterkonzert weist üblicherweise eine sehr hohe Dynamik auf. Durch die ständigen Starts und Landungen auf und um einen Flughafen, die sehr laut und schlagartig erschallen und wieder verschallen, besitzt die Geräuschkulisse dort ebenfalls eine hohe Dynamik und ist deshalb schlafstörend.
Wer sich jedoch in einem Flugzeug befindet und versucht, während des Fluges zu schlafen, hat gute Chancen, dass dies gelingt. Denn selbst wenn die Geräuschkulisse im Inneren eines Flugzeuges sehr laut sein kann, ist die Dynamik des dabei entstehenden Geräuschpegels nicht sehr hoch. Das konstante Brummen beziehungsweise Rauschen kann sogar beruhigend wirken. Dieses Phänomen macht sich auch das weiße Rauschen zunutze, das als App, Musikdatei oder CD als Einschlafhilfe verwendet werden kann.