Schlafkulturen – zwischen Nachtschlaf und Siesta
ZULETZT Aktualisiert: 23. Mai 2023
Die Schlafkulturen der Welt sind vielseitig und eröffnen eine ungewohnte Perspektive auf unsere eigenen Schlafrituale.
Kulturelle Unterschiede gibt es vor allem bei der Schlafenszeit und der Verteilung des Kernschlafs. Unterschiedliche klimatische Gegebenheiten oder berufliche Anforderungen haben Einfluss auf die Schlafkultur. Die äußeren Umstände bilden drei Hauptströmungen: die Nachtschlaf-Kultur, die Kultur der Siesta und die Nickerchen-Kultur. Diese Unterschiede lassen sich lokal zwischen arabischen, asiatischen und westlichen Kulturen verorten. Neben dem unterschiedlichen Zeitmanagement offenbart sich zwischen den Kulturkreisen auch eine überaus unterschiedliche Bewertung von Schlaf.
Acht-Stunden-Kulturen – Nachtschlaf und Produktivität am Tage
In der westlichen Welt ist der monophasische Schlafrhythmus weitverbreitet. Das durchschnittliche Schlafpensum von acht Stunden fällt ausschließlich auf den Nachtschlaf. Wann wir arbeiten, unsere Freizeit genießen und schlafen, ist gesellschaftlich klar definiert.
Der Tagschlaf ist in diesen Nachtschlaf-Kulturen als Ausnahmeerscheinung zu betrachten. Lediglich Nacht- und Schichtarbeiter sowie ältere und kranke Menschen nutzen ihn vermehrt zur Erholung. Gleichzeitig werden das Powernapping am Arbeitsplatz und Arbeitszeitmodelle wie die 4-Tage-Woche, Job-Sharing und Home-Office immer populärer.
Für viele Menschen ist es nicht ideal, dem etablierten Schlafrhythmus zu folgen, sondern auf eigene Bedürfnisse zu achten. Familien sind betroffen, wenn Arbeitszeiten und persönliches Verlangen nach Schlaf nur schwer zu vereinbaren sind. Alternative Schlaf- und Arbeitsmodelle sowie ein differenziertes Verständnis des menschlichen Schlaf-Wach-Rhythmus könnten Entlastung bringen.
Siesta-Kulturen – die Welt der klimatischen Extreme
In Klimazonen mit starker Mittagshitze hat sich die Siesta etabliert, eine tägliche Mittagsruhe von mehreren Stunden. Während dieser Zeit ruhen sämtliche Arbeiten im Dienstleistungsbereich sowie in allen anderen nicht akut lebensnotwendigen Arbeitsgebieten. Kaum jemand kommt auf die irrwitzige Idee, zur Mittagszeit schwere handwerkliche Arbeiten unter freiem Himmel zu verrichten, wie etwa das Feld zu bestellen. In den Großstädten Afrikas kann man Arbeiter auf Rasenflächen zwischen stark befahrenen Straßen beim Mittagsschlaf entdecken. Eine solch ausgedehnte Mittagspause wird in der Regel für eine zweite Schlafphase genutzt, die einen oft verkürzten Nachtschlaf ergänzt.
Diesem sogenannten biphasischen Schlafrhythmus kommt eine hohe Bedeutung zu, schließlich ermöglicht er eine Anpassung des Menschen an klimatische Extreme. Dem Tagschlaf wird in den betroffenen Erdregionen insgesamt ein höherer Stellenwert beigemessen, als es in kühleren Klimazonen, die den Nachtschlaf präferieren, der Fall ist.
Nickerchen-Kulturen – die Welt des asiatischen Hochleistungsschlafs
In den Nickerchen-Kulturen des asiatischen Raums ist das Verhältnis zum Schlaf dem unseren weit voraus. Ein kurzer Tagschlaf gilt als Leistungsnachweis und ist im öffentlichen Raum vielerorts zu beobachten. Menschen schlafen in der überfüllten U-Bahn, in Parks oder auch in Meetings, inmitten von Arbeitskollegen oder fremden Menschen. Das japanische Wort „Inemuri“, was so viel heißt wie „anwesend sein und schlafen“, beschreibt diesen gesellschaftlich akzeptierten Zustand perfekt. Ob in öffentlichen Verkehrsmitteln, am Arbeitsplatz oder mitten in einer Besprechung – das kurze Nickerchen genießt gesellschaftliche Akzeptanz. Es wird grundsätzlich davon ausgegangen, dass der Schlafende die Ruhephase in diesem Moment benötigt, da sein Arbeitsaufkommen zuvor entsprechend hoch war.
Dieser polyphasische Schlafrhythmus ist geprägt von einem stark verkürzten Nachtschlaf, der in der Regel die Hauptschlafphase bildet und von zwei bis fünf über den Tag verteilten zusätzlichen Tagschlafphasen begleitet wird.
Andere Kulturen – andere Bewertung des Schlafs
Der kulturelle Unterschied zwischen der Nickerchen-, der Siesta- und unserer Nachtschlaf-Kultur liegt hauptsächlich in der Bewertung des Schlafens jenseits des Schlafzimmers und außerhalb der nächtlichen Kernschlafphase. In unseren Breitengraden gelten Tagesschläfer als undiszipliniert und faul, als habe man sein Leben nicht im Griff. Der Inemuri in Japan wird eher als Zeichen dafür gesehen, dass man bis spät in die Nacht tüchtig war und die Pausen am Tage zur Regeneration und Steigerung der Leistungsfähigkeit nutzt.