Kleine-Levin-Syndrom: Wenn der Schlaf den Tag bestimmt
ZULETZT Aktualisiert: 05. Mai 2023
Das Kleine-Levin-Syndrom wird auch als Dornröschenschlaf oder Dornröschen-Syndrom bezeichnet. Ähnlich wie die Märchenfigur fallen Betroffene in einen lang andauernden Schlaf. In akuten Phasen des periodisch auftretenden Phänomens schlafen Personen bis zu 22 Stunden pro Tag. Diese Episoden können sich über Monate hinziehen. Die kurzen wachen Phasen sind oft von Desorientiertheit geprägt.
Kleine-Levin-Syndrom: Was steckt dahinter?
Das noch nicht vollständig erforschte Syndrom verdankt seinen Namen dem Psychiater Willi Kleine und dem Neurologen Max Levin, die in den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts zahlreiche Fälle dokumentierten, die mit massiv erhöhtem Schlafbedürfnis, oft in Verbindung mit Essstörungen oder hypersexuellem Verhalten einhergingen. Seit den 1940er Jahren wird diese Erkrankung, die weltweit auftritt, als Kleine-Levin-Syndrom (KLS) bezeichnet.
Männliche Jugendliche im Teenageralter sind überproportional häufig von KLS betroffen. Insgesamt tritt das Kleine-Levin-Syndrom allerdings geschlechtsunabhängig auf und ist sehr selten: Im Schnitt kommen etwa zwei Fälle auf eine Million Menschen. Klassifiziert wird KLS als „Krankheit des Nervensystems“. Über die genauen Ursachen wird noch immer spekuliert. Als mögliche Auslöser werden genetische Gründe oder Autoimmunreaktionen des Körpers vermutet. Auffallend oft geht einer Kleine-Levin-Episode eine Infektion voraus. Falls Sie Angehörige oder selbst betroffen von KLS sind, ist es deshalb ratsam, sich vor allem auf die Prophylaxe und die sinnvolle Intervention von Episoden zu konzentrieren. Also auf die Aspekte, die sehr gut dokumentiert sind.
Der Weg zur Diagnose
Wenn ein Verdacht auf ein Kleine-Levin-Syndrom besteht, ist es, trotz schwieriger Ursachenforschung, wichtig, dass Sie schnellstmöglich ärztlich gut abklären lassen, was genau dahinter steckt. Vor allem um die Diagnose von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Erscheinungen abzugrenzen, beispielsweise Epilepsie, Narkolepsie oder dem chronischen Fatigue-Syndrom ME/CFS.
Aufschlussgebende Ergebnisse können mit einem EEG in einem Schlaflabor oder mit einer Lumbalpunktion zur Untersuchung des Nervenwassers erzielt werden. Eine Blutabnahme kann Ihnen ebenfalls wichtige Hinweise geben. Da KLS äußerst selten und schwierig zu diagnostizieren ist, kann die Suche nach einer spezialisierten Praxis, in der Sie Gehör und Behandlung finden, möglicherweise etwas dauern. Die Auswahl an therapeutischen Möglichkeiten wird jedoch zunehmend größer und die Chance, dass Sie zeitnah hilfreiche Behandlung finden, ist erfolgversprechend – auch aufgrund von Online-Netzwerken, die sich aktiv um Vermittlung bemühen.
In fast allen Fällen ist Kleine-Levin ein langwieriges, aber vorübergehendes Syndrom. Die Schlafphasen, die etwa alle 6 Monate auftreten, verteilen sich über einen Zeitraum von durchschnittlich 10 Jahren. Sie erstrecken sich oft über mehrere Tage, dauern in Einzelfällen jedoch bis zu mehreren Monaten. Letztendlich klingt KLS meist von selbst ab: In der Altersgruppe über 30 zeigen die meisten Personen, die im frühen Teenageralter ein Dornröschen-Syndrom entwickelt hatten, keine Symptome mehr. Ernst nehmen sollten Sie Kleine-Levin trotzdem, denn mit dem Syndrom gehen verschiedene Begleiterscheinungen einher, die problematisch werden können.
KLS: Direkte und indirekte Folgen
Das Sprichwort, dass sich jemand buchstäblich gesund schläft, trifft bei Kleine-Levin nicht zu, denn Personen befinden sich während einer Episode meist weit über das gesunde Maß hinaus im Bett. Durch die mangelnde Bewegung und das Liegen auf einer Stelle ist während einer KLS-Episode das Risiko erhöht, einen Dekubitus zu entwickeln, sich also an einer Hautstelle eine schwer verheilende Wunde vom Liegen zuzuziehen. Wenn Sie von KLS betroffen sind oder zu den Angehörigen zählen, können Sie die Anschaffung einer Dekubitusmatratze in Erwägung ziehen. Diese kann für KLS-Betroffene eine Option zur Prophylaxe sein. Dekubitusmatratzen, die es in verschiedenen Ausführungen gibt, verändern die Druckverteilung oder erzeugen eine Rückkopplung von kleinen Bewegungen auf der Matratze. Beides dient zur Vorbeugung gegen Wundliegen.
Das lange Liegen kann zudem negative Folgen für wichtige Vitalfunktionen des Körpers und für die Muskulatur haben. Als wirksames Gegenmittel bietet sich leichte Gymnastik an. Da dies während eines KLS-Schubs jedoch nicht immer umzusetzen ist, kann alternativ dazu einfache Bewegung, wie etwa regelmäßig ein paar Schritte zu gehen, eine Option sein, den Kreislauf zu unterstützen. Hier zeigt sich auch, wie wichtig es sein kann, dass Sie als Angehörige oder Pflegende während einer KLS-Episode präsent sind und unterstützend zur Seite stehen.
Episoden mit vielfältigen Formen
Die psychosoziale Komponente sollten Sie als Begleiterscheinung ebenfalls im Blick haben. Für Betroffene des Kleine-Levin-Syndroms gestaltet es sich in den kurzen wachen Zeitfenstern während eines Schubs oft sehr schwierig, Freundschaften oder Beziehungen zu pflegen. Die Leistungsfähigkeit in Schule und Beruf ist während einer Episode zudem eingeschränkt, denn selbst in den wachen Phasen geht das Kleine-Levin-Syndrom meist mit Dissoziationen einher und die wachen Momente werden „wie im Traum“ erlebt. In den Phasen nach dem Schub muss das Versäumte oft umfangreich nachgeholt werden, was zu einer zusätzlichen Belastung werden und sich ebenfalls ungünstig auf den Schlafrhythmus auswirken kann. Die Phase außerhalb einer Kleine-Levin-Episode ist also nicht selten von Schlaflosigkeit und erhöhtem Stress gekennzeichnet.
Essstörungen und hypersexuelles Verhalten können als weitere Begleiterscheinungen eines KLS-Schubs auf längere Sicht ebenfalls negative Folgen haben. Essstörungen äußern sich beim Dornröschen-Syndrom häufig als Heißhungerattacken, können jedoch auch als Appetitlosigkeit auftreten. Wenn übermäßige Nahrungsaufnahme im Zusammenhang mit mangelnder Bewegung auftritt, kann dies zu Übergewicht führen, das mit Begleitrisiken wie erhöhter Diabetesgefahr und gesteigerter Belastung für das Herz-Kreislaufsystem einhergeht. Hier können Sie prophylaktisch vorsorgen, in dem Sie darauf achten, dass jederzeit vor allem gesunde Lebensmittel verfügbar sind.
Appetitlosigkeit und ein damit verbundener Verzicht auf Nahrungsaufnahme kann die Energielosigkeit, die eine KLS-Episode oft kennzeichnet, weiter verschärfen. Das hypersexuelle Verhalten kann während einer KLS-Episode unter Umständen bei gleichzeitiger Dissoziation auch andere Personen gefährden, zeigt sich allerdings häufig in Form von gesteigerter Masturbation. Diese ist zwar harmlos, führt aber auf längere Sicht zu einer Überbeanspruchung der Haut. Mit der Verwendung einer Wundsalbe können Sie hier möglicherweise schnell Linderung verschaffen.
Lebensqualität ermöglichen trotz Kleine-Levin-Syndrom
Mit medikamentöser Unterstützung zwischen den Kleine-Levin-Episoden können Sie versuchen, einer neuerlichen Episode vorzubeugen. Allerdings gibt es noch keine eindeutig hilfreiche medikamentöse Therapie. Während einer Episode kann in Einzelfällen die Gabe von Kortison zu einer Verkürzung der Schlafphase führen. Um einer Episode vorzubeugen, wird gelegentlich Lithium verwendet. Der Nutzen einer medikamentösen Therapie richtet sich jedoch immer nach der Intensität der Symptome und sollte ärztlich sorgfältig abgeklärt werden, denn als Nebenwirkung kann Lithium unter anderem starke Schläfrigkeit hervorrufen, was bei KLS kontraproduktiv ist.
Da sich Infektionen ungünstig auf die Entwicklung eines Dornröschen-Syndroms auswirken können, kann es hilfreich sein, wenn Sie auf eine Ernährung mit Lebensmitteln achten, die entzündungshemmend wirken. Frisches Obst und Gemüse bietet sich deshalb nicht nur als gesündere Alternative bei Heißhungerattacken während einer Episode an, sondern kann auch eine gute Option zur Vorbeugung sein. Alkohol sollte bei einer Kleine-Levin-Diagnose vollständig gemieden werden.
Für mehr Lebensqualität können verhaltenstherapeutische Maßnahmen sorgen. Diese zielen häufig auf einen strukturierten Tagesablauf ab und dieser hat sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Episode einen Nutzen. Auch das Zuhause spielt während und nach den Episoden eine wichtige Rolle im Umgang mit dem Kleine-Levin-Syndrom. Der Erholungseffekt im eigenen Schlafzimmer ist meist höher als während einer stationären Unterbringung. Deshalb sollten Sie Ihr Zuhause zu einem Ort des Wohlbefindens und das eigene Zimmer als Rückzugsort mit einem guten Schlafklima gestalten.